3 Monate Training, knapp 663 zurückgelegte Kilometer (das entspricht ca. der Strecke von Zürich nach Berlin!), mehr als 67 Stunden auf der Strasse, drei Paar Schuhe und ein Zehennagel. All dies habe ich geleistet oder geopfert, um nun endlich den Traum des Marathons wahr werden zu lassen. Es war nicht einfach. Nichts hätte mich auf das, was mich erwartete, vorbereiten können. Meine Zeit (4:20) mag zwar nicht unbedingt gut sein, das interessiert mich aber überhaupt nicht. Ich habe es also geschafft!
126
Tage
663
Kilometer
67
Kilometer
3
Paar Schuhe
Das Finale der drei Monate fand am bislang wärmsten Tag des Jahres statt. Für mich als bleicher Engländer nicht die beste Voraussetzung. Ich musste kämpfen. Und wie! Was für ein Idiot entscheidet sich, einen Marathon zu Laufen? Das war einer der eher kinderfreundlichen Gedanken, die mich nach 30 Kilometer plagten.
Da der Marathon gefühlstechnisch und körperlich einer Achterbahnfahrt glich, habe ich die Strecke dementsprechend in Abschnitte aufgeteilt.
Zürich Innenstadt (0 – 10 km)
Alles bestens. Ein guter Start umgeben von hunderten anderen Läufern. Nach wenigen Kilometern nimmt die Menschendichte etwas ab und kleine Grüppchen bilden sich. Ich halte ein gutes Tempo mit dem Ziel, unter vier Stunden abzuschliessen. Die hohen Häuser der Stadt sorgen für reichlich Schatten und ein angenehmes Lüftchen zieht an uns vorbei.
Und was sehe ich da? Läuft da einer wirklich Barfuss? Und er hält ein schnelleres Tempo als ich? Läufer sind wohl tatsächlich komische Kreaturen. Wie es ihm im späteren Lauf auf dem heissen Asphalt erging, habe ich leider nicht mehr erfahren. Mir tun die Füsse aber nur schon weh, wenn ich daran denke. Denken kann ich noch.
Aus der Stadt und am Zürichsee entlang (15 – 21 km)
Nach der Innenstadt folgt eine lange, gerade Strecke dem Zürichsee entlang. Die Aussicht wäre schön, müsste ich mich nicht aufs Laufen konzentrieren. Immer einen Fuss vor den anderen stellen. Und auf keinen Fall vergessen, richtig zu atmen. Ein-ein, aus-aus-aus. In der Zwischenzeit bin ich ja bereits mehrere Halbmarathons im Training gelaufen. Und auch hier macht mir diese Strecke keine sonderlichen Probleme. Die Sonne steht noch nicht an ihrem Zenit und ein angenehmer Wind kühlt mich ab.
Irgendwo auf dieser Strecke rennen auch schon die Eliteläufer an uns vorbei – natürlich sind diese aber bereits auf dem Rückweg. Die drei Kenianer und zwei Schweizer an der Spitze erhalten von den langsameren Gruppen einen wohlverdienten Applaus. Wie schön sie es haben. Nur noch eine Stunde und die Qual ist für sie vorbei.
Da ich mich während des Trainings nur von Gels ernährt habe, schnappe ich nach ungefähr 15 km zwei Packungen an einem Verpflegungsstand. Den ersten öffne ich gleich sofort. Was für ein Glück! Diesen Geschmack kenne ich. Trotz der unglaublichen Süsse (diese Gels sind mehr oder weniger nur Zucker) vertrage ich diesen. Den zweiten stecke ich für später in meine Hose. An den Ständen war bis jetzt immer ein grosses Gedränge, wer weiss, ob ich beim nächsten auch so einfach einen schnappen kann?
An dieser Stelle wird mir auch klar, wie viel Müll ein solcher Anlass verursacht. Mehrere hundert Meter Strasse nach jedem Verpflegungsstand sind mit Plastikbecher übersät. Zurückblickend frage ich mich, ob es nicht möglich wäre, den Plastik mit biologisch abbaubarem Material zu ersetzen? So wäre mein Gewissen auch etwas reiner. Denn ich muss gestehen, dass auch ich ab und zu einen Becher auf den Boden geworfen habe, wenn weit und breit kein Mülleimer zu sehen war. Und ehrlich gesagt, hat man während dem Marathon anderes im Kopf als sein eigenes Waste Management.
Etwa nach der Hälfte der Gesamtstrecke packe ich den zweiten Gel aus. Oh nein, diese Farbe kenne nicht! Gespannt reisse ich den Verschluss ab und nehme einen Bissen/Schluck. Fast kommt er wieder hoch. Was ist das? Erdnussbutter? Das soll Erdnussbuttergeschmack sein? Noch nie hatte ich eine solch künstliche und süsse Erdnussbutter zu schmecken bekommen. Sagen wirs mal so, zukünftig werde ich besser darauf achten, was für ein Gel ich vom Stand mitnehme.
Es wird heiss und anstrengend (21 – 30 km)
Das könnte zum Problem werden: Die Sonne brennt mit voller Stärke und es ist nicht mehr nur warm. Nein, jetzt wird es heiss! Mein blaues T-Shirt ist wegen der dicken Salzkruste kaum noch zu erkennen. Der Wind, den ich vor ein paar Kilometern noch als angenehm empfunden habe, wird nun zur Pest. Der schwarze Asphalt absorbiert die Wärme und ich fühle mich wie eine Pizza im Backofen. Wo auch immer sich Schatten befindet, versuche ich hinzulaufen. Das einzige Problem dabei ist, dass es immer weniger davon gibt, je höher die Sonne steht.
Die härtesten Kilometer (30 – 37 km)
Jede einzelne Faser meines Körpers drängt mich dazu, aufzugeben. Meine Oberschenkel haben sich in unbewegliche Metallpfosten verwandelt, die Lungen machen nicht mehr mit, ich bin am verdursten und die Füsse brennen von der unglaublichen Hitze. Ich bin nicht der Einzige. Immer mehr sehe ich Läufer am Strassenrand, die einfach nicht mehr weitermachen können. Werde auch ich bald zu dieser Gruppe gehören? Auch wenn ich noch niemanden zusammenbrechen gesehen habe, fährt immer wieder ein Notarzt die Strecke mit hohem Tempo auf und ab. Was habe ich mir nur dabei gedacht, einen Marathon zu laufen?
Kein einziges Mal konnte ich bei warmem Wetter trainieren und das zeigt sich. Wäre es noch kalt, wäre ich bestens vorbereitet! Jeder Getränkestand scheint weiter entfernt zu sein als der letzte. Sobald ich bei einem ankomme, kippe ich innert kürzester Zeit 4 oder 5 Becher (oft warmes) isotonisches Getränk in mich herein. Nicht die beste Taktik, denn auch zuviel trinken kann gefährlich sein. Aber ich brauche das! Ein paar Becher Wasser landen zusätzlich auf dem brummenden Schädel. Eine kurzfristige Abkühlung und nichts mehr, aber jedes bisschen hilft.
Aufgeben kommt nicht in Frage (37 – 40 km)
Kann es sein? Nur noch 5 Kilometer? Na wenn ich schon 37 km gelaufen bin, kommt aufgeben sicher nicht in Frage. Ich schaffe diesen Marathon! Langsam bin ich auch wieder in der dichter besiedelten Stadt. Endlich wieder Schatten! Egal mit welcher Zeit, ich werde die Ziellinie überschreiten. Jetzt lieber ein paar lockere Kilometer, damit ich am Schluss, umzingelt von Zuschauern, nicht pausieren muss.
Fix und fertig im Ziel (40 – 42 km)
Das Ziel ist endlich zum Greifen nah! Was sind schon zwei Kilometer? Naja, sehr viel, wenn man bereits 40 hinter sich hat. Tja, da muss ich mich wohl einfach durchbeissen. Mit einem schnelleren Tempo fühlt es sich an, als ob ich durch die Strassen Zürichs gleite. Schmerzen spüre ich schon gar nicht mehr. .
Und da ist es endlich! Ich sehe das Ziel! Jetzt einfach nichts blödes machen. Wie zu Beginn gilt immer noch: Einen Fuss vor den anderen. Ich komme näher und… Warte mal, das ist gar nicht das Ziel. So ein Mist, ich muss wohl noch ein wenig weiter. Diesmal aber! Ich sehe es, das ist das Ziel! Was? Schon wieder nicht? Beim Zürich Marathon sind wohl alle guten Dinge drei. Erst beim dritten Bogen befindet sich das wirkliche Ziel. Es ist vorbei, endlich ist es vorbei! An meiner Seite Lia und unser Böhnchen, die ungeduldig im Ziel gewartet haben.
42.195
Kilometer
4:20:48.7
Zeit
4’397
Kalorien
Highlights und Enttäuschungen des Zürich Marathons 2018
Natürlich konnte nichts das Gefühl, die Ziellinie endlich zu überschreiten, übertrumpfen. Es gab aber auf jeden Fall auch weitere Faktoren, die mir den Tag versüsst oder eben leider versauert haben. Damit ich den Artikel nicht mit einer negativen Note beenden muss, fange ich mit den wenigen Enttäuschungen an, die ich am Zürich Marathon erlebt habe.
Enttäuschungen des Zürich Marathons
- Als erstes muss die Organisation erwähnt werden. An der Stelle, wo das Gepäck abgegeben wurde und sich hunderte Läufer gleichzeitig befanden, habe ich acht Toiletten gezählt. Die Schlangen waren ewig lang und kaum jemand konnte noch ein letztes Angstbisi hinter sich bringen. Glücklicherweise habe ich anderswo ein Pissoir gefunden. Diese Option steht den Frauen aber nicht zur Verfügung.
- Liebe/r Drohnenpilot/in: Ich hoffe, du wurdest mit einer saftigen Busse belohnt und darfst nie wieder ein fliegendes Gerät benutzen. Du bist ein Idiot. Was mich am meisten an deiner idiotischen Tat stört, ist, dass du damit auch allen anderen Hobbypiloten einen schlechten Namen gibst. Drohnen dürfen in der Schweiz nicht über Menschenmengen geflogen werden. Und das mit gutem Grund! Idioten wie du werden daran Schuld sein, wenn niemand mehr im ganzen Land eine Drohne fliegen darf. Vielen Dank!
- Lieber BMW-Fahrer. Du warst so unglaublich cool! Wirklich, alle waren riesig beeindruckt als du nur ein paar Meter neben uns deinen Motor aufheulen liest. Frauen sind sogar von der Strecke abgewichen und haben den Marathon hingeschmissen, in der Hoffnung, dich einzuholen. Respekt!
- Auch wenn 99.9% der Zuschauer überragend waren, gab es doch auch ein paar wenige, die lieber zuhause vor dem Fernseher geblieben wären. Ich spreche die vier Menschen an, die lieber etwas weniger Energie in dumme Sprüche investiert hätten und etwas mehr in ihre eigene Fitness. Negativität hat an einem solchen Anlass nichts verloren. Lebt euer trauriges Leben anderswo aus.
Highlights des Zürich Marathons
- Die Zuschauer waren zu 99.999% überragend! Ich selbst war noch nie an einem Marathon als Zuschauer dabei und war überrascht, wie viel Positivität dieser Anlass mit sich brachte. Weil jeder seinen Vornamen auf dem Nummernschild hatte, hörte ich an diesem Tag so viele „Hopp Liam„-s wie noch nie in meinem Leben.
- Vielleicht liegt es einfach nur daran, dass ich selbst vor kurzer Zeit Vater wurde, aber die unzähligen Kinder, die am Strassenrand auf ein High-Five warteten, waren eine riesige Motivation. Egal von wem, ein kurzes Abklatschen löste bei allen ein breites Grinsen aus. Ihr wart mein Highlight des Tages!
- Bis auf die raren Toiletten war der Marathon grundsätzlich sehr gut organisiert. Also ein Lob auch an die Organisatoren des Zürich Marathons. Die Gepäckabgabe war effizient und gut organisiert. Die Startplätze waren klar beschriftet und der Kurs nicht zu verfehlen.
- Das letzte Dankeschön geht an jene, die freiwillig allen durstigen Läufern Wasser verteilt haben. Damit meine ich nicht nur die offiziellen Verpflegungsstände des Marathons. Nein, es gab auch welche, die mit gefüllten Kübeln aus dem eigenen Haus am Strassenrand standen und eine kurze Abkühlung angeboten haben.
Der Tag danach
Und nun sitze ich hier in meinem Büro und schreibe den ersten Entwurf dieses Artikels. Ein Marathon zu laufen hat Folgen. Beine, Po und Schultern schmerzen und der Kopf brummt als Folge der gewaltigen Hitze. Ich muss aber gestehen, dass ich es mir schlimmer vorgestellt habe. Ein Zehennagel hat eine schöne schwarze Farbe bekommen und wird sich in den nächsten wahrscheinlich verabschieden.
Der Tag nach dem Tag danach
Die Kopfschmerzen haben endlich nachgelassen! Vom Sofa aufstehen und treppenlaufen sind aber immer noch ein Kampf. Ich will gar nicht wissen, was sich die Leute am Bahnhof gedacht haben, als ich mich am Geländer die Treppe hinuntergezogen habe. Heute habe ich gelesen, dass am London Marathon, der am gleichen Tag stattfand, ein Läufer (wahrscheinlich) wegen der Hitze auf der Strecke zusammenbrach und später im Spital starb. Was für eine traurige Geschichte, die mir zeigt, wie gefährlich ein Marathon bei einer solchen Hitze sein kann!
Wie weiter
Eins weiss ich ganz bestimmt: Das war nicht das letzte mal, dass ich eine Strecke kompetitiv gelaufen bin! Was der nächste Wettkampf wird, weiss ich nocht nicht. Für Vorschläge bin ich natürlich offen. Nach dem vielen Laufen wird in den nächsten Wochen erstmals wieder das Bike aus dem Keller geholt und die umliegenden Berge etwas erkundet. Wie immer könnt ihr meine weiteren Abenteuer auf Strava mitverfolgen!