Die Leiden eines Vaters

Mein Rücken schmerzt, die Knie werden langsam feucht und auf dem Boden rundherum sind Tücher und Windeln verteilt. Was bin ich? Ich bin ein Vater, der sein Kind öffentlich wickeln muss. Noch immer sind Wickelauflagen in öffentlichen Männer-WCs eine Rarheit. Viel zu oft muss ich mich nach Alternativen umschauen. Ist kein geeigneter Platz vorhanden, muss ich das ganze auf dem Fussboden erledigen, ins Auto gehen und versuchen, in unbequem gebückter Haltung mein Böhnchen auf dem Rücksitz zu wickeln oder ich suche ein anderes stilles Plätzchen. Wer Männer-WCs kennt, weiss, dass die erste Möglichkeit nicht immer angenehm für Vater und Kind ist („Liam, wieso sind deine Knie feucht?“). Der Autositz ist zu niedrig und eine Kackastrophe hätte schwerwiegende Folgen. Im Winter ein Baby draussen wickeln? Nein Danke.

In den letzten acht Monaten habe ich rekordverdächtig viele Squats gemacht und Stunden damit verbracht, mit einem stinkenden Baby unter dem Arm ein ruhiges Plätzchen zu suchen. Gleichstellung? Die gibt es nicht, wenn in der Öffentlichkeit gewickelt werden muss. Und das hier ist die ganze Geschichte meines Leidens.

Zur Rolle des Vaters

Es geht nicht nur darum, meine Partnerin zu entlasten. Das Wickeln gehört nun einfach auch zu den Aufgaben eines Vaters. Ich habe mich für ein Kind entschieden, was eben so seine Pflichten mit sich bringt, die schönen und eben halt auch die weniger schönen. Mami sein ist nicht einfach. Das Stillen kann stressvoll und manchmal auch überwältigend sein. Abgesehen davon gehen dafür jeden Tag mehrere Stunden verloren. Lia versichert mir, dass nach den ersten Monaten die ganze Romantik um das Stillen auch abnimmt. Mann hilft dort, wo er kann. Und wenn ein Baby nebst dem Stillen eines des öfteren braucht, ist es eine frische Windel.

Diese Ehre gilt nicht nur im eigenen Heim. Wir sind trotz Elternsein immer noch zwei junge (auch wenn ich mich nach einer Nacht mit einem zahnenden Baby nicht so fühle) Menschen, die gerne ausgehen und sich eine schöne Zeit machen. Unser Böhnchen will und darf natürlich auch immer ein Teil des interessanten Geschehnisses sein. Damit Lia auch mal ausspannen kann, bleibt es an mir hängen, ein stilles Örtchen für die unangenehme Tat zu finden. Es könnte so einfach sein, das ist es aber leider nicht. Denn noch immer fehlt in den meisten Männer-WCs eine Wickelauflage. Ein paar fehlende Schrauben und ein Stück Plastik, die den Unterschied ausmachen.

Einfach auf die Damentoiletten…

…oder lasst das Kind doch einfach zuhause. Ich bin nicht der erste, der dieses Problem anspricht (und werde garantiert auch nicht der letzte sein). Anfang dieses Jahres wurde das Thema von den Medien aufgegriffen und mehrere Artikel dazu veröffentlicht. In den Kommentaren wird oft erwähnt, dass Väter doch einfach auf das Frauen-WC oder am liebsten das Kind zuhause lassen sollen. Es ist nun mal nicht allen angenehm, ein Frauen-WC zu betreten, inklusive mir. Mal abgesehen von den Frauen, die bei ihren heiligen WC-Gesprächen keine ungebetenen Zuhörer möchten. Wickelauflagen in beiden WCs zu installieren oder ein unisex WC bereitzustellen wäre ein Zeichen des Fortschritts in Sachen Gleichberechtigung. Auch in der Schweiz wird es irgendwann Zeit, dem klassischen Rollenbild entgegen zu wirken. Männer und vor allem zukünftige Väter sollen auch sehen können, wie ein Vater sein Kind wickelt!

Von Gleichstellung ist nicht zu sprechen

Jeder weiss, die Schweiz ist ein historisch konservatives Land. Erst vor 28 Jahren, im Jahr in dem ich geboren wurde, durften landesweit Frauen an die Urne. Okay, die Schweiz ist historisch ein sehr konservatives Land. Die Mentalität „Frauen an den Herd“ scheint in gewissen Kreisen noch immer tief verankert zu sein. „Ich habe noch nie gehört, dass der Mangel an Wickelauflagen in Männer-WCs ein grosses Problem sei. Heute wickeln halt immer noch mehrheitlich die Frauen ihre Kinder.“ Dieser Kommentar von SVP-Nationalrat Sebastian Frehner, ist nur einer der Beispiele, die mich in Rage bringen. Vielleicht schweigen wir nur, weil während der Suche nach dem besten Ort, ein schreiendes, stinkendes Baby zu wickeln, das Wickelzeug zwischen unseren Zähnen klemmt . Aber es gibt sie. Ich bin jetzt einer davon. Die Väter, die sich sehnlichst Wickelauflagen in öffentlichen WCs wünschen. Und ich weiss, ich bin nicht der einzige.

Vorbild Kanada

Als wir vor wenigen Monaten durch Kanada gereist sind (Spoiler), sind mir zweierlei Dinge aufgefallen: Erstens gibt es in fast jedem Männer-WC auch eine Wickelauflage. Egal wie klein der Raum oder wie verlassen der Ort, es wurde Platz gemacht. Und die waren allesamt sauber! Zweitens gibt es in grösseren öffentlichen Gebäuden wie z. B. in Supermärkten oder am Flughafen den Family Room. Ein schön eingerichteter Raum, mit Platz zum Stillen und Wickeln. Da können sogar beide Elternteile das schönste aller Geschenke auspacken. Zudem ist es immer praktisch, stets einen Kackistenten beiseite zu haben.

Auch einzelne Orte Amerikas haben dieses Problem erkannt und sind bestrebt, Lösungen zu finden. In New York werden alle neue öffentliche Gebäude mit Wickelauflagen in Männer-WCs ausgestattet. Deren Bürgermeister fasst das Anliegen in wenigen, gut gewählten, Worten zusammen:

Kein Luxusproblem

Oft wird vorgeworfen, das Wickelauflage-Problem sein ein Luxusproblem. Ist es tatsächlich ein Luxusproblem, wenn die Hygiene und Gesundheit eines Kindes zur Debatte steht? Die ersehnte Wickelauflage dient nicht nur mir und allen anderen Vätern sondern auch dem Kind. Ein Wickeltisch braucht kaum Platz (sogar Flugzeug-WCs sind damit ausgestattet) und kosten kein Vermögen. Ich brauche keinen Family Room (auch wenns schön wäre), nur eine Wickelauflage, auf der ich sorgenfrei meinem Böhnchen einen frischen Duft verleihen kann. Und vielleicht auch ein Mülleimer, den ich mit dem Fuss bedienen kann. Ist das wirklich zu viel verlangt?

Ich würde mich freuen, in den Kommentaren von anderen Vätern zu hören, wie ihr mit diesem Problem umgeht. Oder ist es gar keines für euch? Versucht mich zu überzeugen.

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